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Ruhrfestspiele 2019 enden am Sonntag

07.06.2019

Bilanz der ersten Festivalspielzeit der Intendanz von Olaf Kröck

Mit Heiner Müllers Inszenierung „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ mit Martin Wuttke in der Titelrolle und einer großen Abschlussparty, bei der u. a. Lars Eidinger auflegt, enden am Sonntag die ersten Ruhrfestspiele der Intendanz von Olaf Kröck. Bei der heutigen Pressekonferenz hat Olaf Kröck zusammen mit seinem Chefdramaturgen Jan Hein und Geschäftsführerin Genia Nölle ein vorläufiges Resümee gezogen.

Olaf Kröck: „Die diesjährigen Ruhrfestspiele haben gezeigt, dass Theaterkunst, die sich mit Inhalten der Gegenwart beschäftigt, die sich in einem Spannungsverhältnis von Poesie und Politik bewegen, große Zuschauergruppen erreichen kann. Es sind Inhalte und mutige ästhetische Setzungen des Theaters, die auf eine große Neugierde und Offenheit im Publikum getroffen sind. Die Lust auf eine Auseinandersetzung mit Gegenwartsthemen haben den Erfolg der Ruhrfestspiele 2019 ausgemacht.“

In den vergangenen sechs Wochen hat sich Recklinghausen in eine internationale Kultur- und Theatermetropole verwandelt. Über 850 Künstlerinnen und Künstler aus rund 16 verschiedenen Ländern, darunter u. a. Namibia, Libanon, Israel, Indien, Mexiko, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Griechenland, den USA, Argentinien, Australien, Spanien, der Schweiz und der Ukraine, waren in Recklinghausen zu Gast.

„Poesie und Politik“ – die erste Festspielsaison hat zwei Begriffe miteinander verbunden, die – wie Judith Schalansky in ihrer Eröffnungsrede sagte – „viel zu lang verschiedenen Welten anzugehören schienen, obwohl sie doch einander so unendlich viel zu geben haben“. Wie wollen wir in Zukunft zusammen leben? In Deutschland, in Europa, auf der Welt? Was haben wir – jeder von uns, aber auch die Gemeinschaften, die wir bilden – einander zu geben? Eine Vielzahl von Themen, die immer wieder neu ineinander greifen, wurden während der Festspielwochen in den verschiedenen Sparten Schauspiel, Tanz, #jungeszene, Literatur, Neuer Zirkus etc. umspielt: das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, das perfide Spiel mit den Ängsten vor dem Fremden, Abschottungsfantasien in Europa, die Kraft von Empathie und Mitleid, Funktionsweisen totalitärer Strukturen, das nicht Selbstverständliche der Freiheit, romantische Sehnsüchte im Spätkapitalismus, die schillernden Strukturen des Populismus. Und in allen Sparten war immer wieder die einzigartige Kraft künstlerischer Manifestationen des Menschlichen zu erleben.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Ruhrfestspiele startete das Festival mit einer Eröffnungsrede: Die bekannte Autorin Judith Schalansky schenkte den Festspielen ihre „Recklinghäuser Rede“. Mit der Performance „What Is the City but the People?“ nach der Idee des Turner-Preisträgers Jeremy Deller öffnete das neue Team die Ruhrfestspiele in die Stadt. Über 150 Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser präsentierten auf einem Laufsteg vor dem Rathaus ihre Geschichten und machten die diverse Stadtgesellschaft sichtbar.

Zu den vielbeachteten Inszenierungen der Ruhrfestspiele 2019 gehörten weiterhin die Uraufführung von Jean Raspails Roman „Das Heerlager der Heiligen“ in der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer, die Deutschlandpremiere von Peters Brooks „The Prisoner“, dessen Derniere unter Anwesenheit des Regisseurs in Recklinghausen zu erleben war, und Ivo van Hoves kongeniale Inszenierung „Ein wenig Leben“, nach dem Roman von Hanya Yanagihara, die als nächstes in Barcelona zu sehen sein wird. Mit „Grand Finale“ von Hofesh Shechter und „The Great Tamer“ von Dimitris Papaioannou waren zwei der derzeit gefragtesten Tanzproduktionen bei den Ruhrfestspielen zu sehen. Das OWELA Festival präsentierte die Künstler*innen des namibianischen Kaleni Kollectivs, zu dem auch Julia Wissert, designierte Intendantin des Schauspiel Dortmund, gehört. Die Performances waren im Rahmen der Ruhrfestspiel-Saison auch in Windhoek, Namibia, zu sehen.

Zudem haben die Ruhrfestspiele mit „… im Gespräch mit Denis Scheck“ eine neue Reihe im Bereich Literatur etabliert: Eingeladen waren die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, Autor und Filmemacher Georg Stefan Troller und der amerikanische Anwalt und Autor Louis Begley. Als Eigenproduktion präsentierten die Ruhrfestspiele zudem den Abend „Hüller trifft Hauschka“ der beiden oscarnominierten Künstler Sandra Hüller und Volker Bertelmann alias Hauschka.

Die Ruhrfestspiele begreifen den Bereich Kinder- und Jugendtheater als zentral und haben ihm in diesem Festival viel Raum gegeben und die Platzkapazität deutlich erhöht. Zehn Theater waren mit ihren Arbeiten zu Gast, die in diesem Genre als wegweisend gelten, u. a. das GRIPS Theater Berlin mit „Dschabber“ von Marcus Youssef und das Junge Ensemble Stuttgart mit Hesses „Der Steppenwolf“ in der Regie von FAUST-Preisträgerin Brigitte Dethier. Zudem wurde das theaterpädagogische Rahmenprogramm mit Workshops für Schüler*innen und Lehrer*innen, einem Theaterclub und theaterpraktischen Vor- und Nachbereitungen erweitert.

Kurz vor dem Ende der diesjährigen Festspiele haben rund 64.00 Besucher*innen die Vorstellungen der Ruhrfestspiele besucht, bei rund 71.000 Karten im Verkauf entspricht dies einer Auslastung von rund 90 Prozent und ist damit das prozentual drittbeste Ergebnis der Ruhrfestspiele seit 1991. Das Programm der ersten Ruhrfestspiele der Intendanz von Olaf Kröck wurde dabei in seiner gesamten Breite der ästhetischen und künstlerischen Vielfältigkeit sehr gut angenommen. Die gute Auslastung verteilt sich auf alle Spielstätten und alle Genres. Darunter waren neben dem Recklinghäuser- und regionalen Publikum eine Vielzahl Besucher*innen aus dem gesamten Bundesgebiet und in diesem Jahr in einem größeren Umfang aus dem Ausland. Internationale Besucher*innen kamen u. a. aus Kanada, Australien, den USA, Russland, China, Brasilien, Großbritannien, Polen, der Slowakei, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Schweden. Großen Zuspruch fand das Festival auch beim Fachpublikum. Zahlreiche Kulturschaffende aus den unterschiedlichsten künstlerischen Bereichen aus dem In- und Ausland haben sich für die Ruhrfestspiele 2019 akkreditiert.

Das neu gestaltete Foyer des Ruhrfestspielhauses, die Lichtinstallationen im Park und das zweite Festivalzentrum rund um das Festspielzelt entwickelten sich im Laufe des Festivals zu einem lebendigen Treffpunkt. Mit der In-Szene-Setzung des Kohle-Denkmals im Glasfoyer des Ruhrfestspielhauses durch eine Lichtinstallation und eine Goldinstallation, die über dem gesamten Glasfoyer schwebt, hat die Szenografin und Bühnenbildnerin Cordula Körber die Aufmerksamkeit von außen auf den Innenraum fokussiert und leitet das Publikum in die Tiefe des Foyers hinein. Endpunkt der Goldinstallation ist ein ebenfalls goldener höhlenähnlicher Rundbogen, der auf das Dahinterliegende, die Bühnen und das Bühnengeschehen, neugierig macht. Zusätzlich entwickelte Cordula Körber die neue Bar42, einen Gesprächs- und Diskussionsraum für die Ruhrfestspiele, und die Goldgrube, eine Premieren-Bar, in der sich nach den Vorstellungen Künstler*innen, Mitarbeiter*innen und Zuschauer*innen begegneten. Das neu entstandene Festivalzentrum wird auch im kommenden Jahr von ihr gestaltet werden.

An den zwei verbleibenden Festivaltagen zeigen die Ruhrfestspiele im Großen Haus des Ruhrfestspielhauses die legendäre Heiner-Müller-Inszenierung von Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ mit Martin Wuttke in der Titelrolle (8. Juni, 20:00 Uhr, 9. Juni, 18:00 Uhr). Außerdem liest der bekannte Schauspieler und Regisseur Milan Peschel aus Heiner Müllers „Für alle reicht es nicht“ (9. Juni, 11:00 Uhr, Großes Haus). Im Kleinen Haus gibt es parallel noch zwei Vorstellungen von „Hochdeutschland“ nach dem Roman von Alexander Schimmelbusch als Gastspiel der aktuellen Uraufführung der Münchner Kammerspiele (Regie: Kevin Barz;

8. Juni, 18:00 Uhr, 9. Juni, 19:00 Uhr).

Im Anschluss an die beiden letzten Vorstellungen am Pfingstsonntag laden die Ruhrfestspiele ihr Publikum zu einer großen Abschlussparty ein (Eintritt frei). Mit Party drinnen und Kopfhörerparty draußen vor dem Ruhrfestspielhaus heizt zunächst DJan von 21:00 bis 0:00 Uhr den Festspiel-Gästen ein. Außerdem wird der grüne Hügel vor dem Ruhrfestspielhaus durch den renommierten Lichtkünstler Wolfram Lenssen (Forum InterArt) zur illuminierten Wunderwelt „Illumina“. Die eigens für den Stadtgarten entwickelte Licht- und Klangshow startet jeweils um 22:30 Uhr, 23:00 Uhr und 23:30 Uhr. Ab 0:00 Uhr heißt es dann: „Autistic Disco“ mit DJ Lars Eidinger.