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Ruhrfestspiele 2022 enden am Sonntag. Internationales Kunst- und Kulturfestival war sechs Wochen live. Bilanz der diesjährigen Festivalsaison.

09.06.2022

Produktionsfotos und Festivalimpressionen 2022 hier.

Mit Vorstellungen von der „Dreigroschenoper“ in der Regie von Barrie Kosky aus dem Berliner Ensemble, der internationalen Neuer Zirkus Produktion „FIQ!“ der Groupe Acrobatique de Tanger aus Marokko, einem Gespräch mit Denis Scheck und der letztjährigen Buchpreisträgerin Antje Rávik Strubel und der Open Air Performance „Exit“ der französischen Kompanie Cirque Inextremiste enden am Wochenende die diesjährigen Ruhrfestspiele.

Olaf Kröck: „Das Theater ist zurück. Nach zwei langen Jahren eingeschränkter Möglichkeiten durch die Pandemie konnten die Ruhrfestspiele endlich wieder uneingeschränkt live stattfinden. Der Zuspruch und die Begeisterungsfähigkeit des Publikums, die die Ruhrfestspiele erlebt haben, war sehr beeindruckend. Inhaltlich und ästhetisch haben wir über sechs Wochen starke Kunst erlebt. Unter dem Motto ‚Haltung und Hoffnung‘ haben die diesjährigen Festspiele gezeigt, dass Kunst ein wesentlicher Ort der Demokratie und Freiheit ist, die Ruhrfestspiele ein Ort der Solidarität. In diesen Krisenzeiten erinnern beide Begriffe an eine notwendige zivilgesellschaftliche Courage. Die Angriffe auf unsere demokratischen Errungenschaften scheinen durch die Coronapandemie noch einmal verschärft worden zu sein. Der verheerende Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns, was alles auf dem Spiel steht. So wurde das Spielzeitmotto ‚Haltung und Hoffnung‘ zu einem Statement für Solidarität, Demokratie und Freiheit.“

Die Ruhrfestspiele waren 2022 wieder ein internationales Festival. Beteiligt waren mehr als 650 Künstler*innen aus rund 20 verschiedenen Ländern, darunter u. a. aus Südafrika, Australien, der Ukraine, Ghana, Estland, Mexiko, Marokko, Italien, Großbritannien, Irland, Belgien, Frankreich, Spanien, Finnland, Griechenland, der Schweiz und Österreich.

Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? In Deutschland, in Europa, auf der Welt? Mit einem weltoffenen, vielfältigen und internationalen Programm haben die Ruhrfestspiele inhaltliche Setzungen während der Festspielwochen in den verschiedenen Sparten Schauspiel, Tanz, Literatur, Neuer Zirkus, Bildende Kunst, Zwischenräume etc. immer wieder neu umspielt: die Schönheit und Einmaligkeit der Natur und ihre gnadenlose Ausbeutung durch den Menschen, die Notwendigkeit eines uneigennützigen Kampfes des Einzelnen für Gerechtigkeit und Solidarität, die Mechanismen von Macht, Gehorsam und Ordnung, Strukturen eines Totalitarismus, der existierende Klassismus und die Entstehung und Wirkung sozialer Scham. Und in allen Sparten war immer wieder die einzigartige Kraft künstlerischer Manifestationen des Menschlichen zu erleben: Empathie, Energie und Ermutigung. Die Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo hat bereits in ihrer Eröffnungsrede der Ruhrfestspiele ‚Haltung und Hoffnung‘ gezeigt und mit dem Literaturfestival „Resonanzen – Schwarzes Literaturfestival“ einzigartig und empowernd umgesetzt. Und mit dem Audiospaziergang „The People of…Recklinghausen Süd“ wurden die Ruhrfestspiele ein weiteres Mal in den Stadtraum geöffnet: Geschichten einer diversen Stadtgesellschaft im Wandel.

Haltung und Hoffnung

Zu den vielbeachteten Inszenierungen der Ruhrfestspiele 2022 gehörten an erster Stelle die drei Deutschlandpremieren im Bereich Schauspiel: die Eröffnungsinszenierung „SIBYL“ des südafrikanischen Künstlers William Kentridge, die Koproduktion „Bros“ des italienischen Theatervisionärs Romeo Castellucci, und „Tao of Glass“ von Philip Glass und Phelim McDermott, koproduziert mit dem Manchester International Festival.

Als weitere zentrale, internationale Arbeiten zeigten die diesjährigen Ruhrfestspiele im Tanz „Double Murder“ des israelisch-britischen Choreografen Hofesh Shechter, die Deutschlandpremiere „Colossus“ der Australierin Stefanie Lake in Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste und „The Sacrifice“ von Dada Masilo aus Südafrika.

Mit Begeisterung vor ausverkauftem Haus wurden zudem die Vorstellungen mit renommierten, deutschen Schauspieler*innen aufgenommen, u. a. die Schaubühnen-Inszenierung von „Eurotrash“ mit Angela Winkler und Joachim Meyerhoff, „Mein Name sei Gantenbein“ des Berliner Ensembles mit Matthias Brandt und „Die Dreigroschenoper“ in der Regie von Barrie Kosky mit Nico Holonics als Mackie Messer, ebenfalls vom Berliner Ensemble.

Vielbeachtet waren auch die Soloabende „Die Pest“ nach dem Roman von Albert Camus mit Božidar Kocevski vom Deutschen Theater Berlin und „Die Tagesordnung“ nach dem Roman von Éric Vuillard vom Schauspiel Hannover. Ein Überraschungserfolg war die Figurentheaterproduktion „Dimanche“ von den Compagnien Chaliwaté und Focus aus Belgien, die die Ruhrfestspiele im Rahmen ihrer Kooperation mit dem FIDENA Figurentheaterfestival zeigten.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt „Resonanzen – Schwarzes Literaturfestival“. Das dreitägige Festival, kuratiert von der Autorin Sharon Dodua Otoo, bot eine Plattform für deutschsprachige Schwarze Nachwuchsautor*innen. Eine Fortsetzung von „Resonanzen“ ist in Planung. Vielbeachtet, auch in der Medienlandschaft, war und ist die diesjährige Kunstausstellung der Ruhrfestspiele, die die estnische Künstlerin Flo Kasearu mit ihrer ersten großen Einzelausstellung präsentiert.

Im Genre Neuer Zirkus luden die Ruhrfestspiele auch in diesem Jahr internationale Künstler*innen und Gruppen ein. Weltpremiere feierte die Mexikanerin Gabriela Muñoz mit ihrer neuen Produktion „Julieta“, die von den Ruhrfestspielen koproduziert wurde. Aus Marokko war die Groupe Acrobatique de Tanger mit ihrer Show „FIQ!“ zu Gast.

Fragen nach gesellschaftlichem Zusammenleben und Toleranz, der Kraft der gemeinsamen Erinnerung und verbindenden Momenten im gemeinsamen Kunsterleben standen im Fokus der Vorstellungen der Jungen Ruhrfestspiele. Das Theater Hora und das Performance Kollektiv Henrike Iglesias stellten in „Es war keinmal“ gängige Schönheitsideale auf den Kopf. Mit „Kai zieht in den Krieg“ vom Berliner GRIPS Theater stand ein Stück von trauriger Aktualität auf dem Spielplan. ‚Kunst selbst machen‘ in Workshops und Clubs ist zudem weiterhin zentraler Bestandteil und gibt jungen Menschen die Gelegenheit, selbst aktiv ästhetische Erfahrungen zu sammeln, durch das „passt“-Förderprogramm „Zur Bühne“ des Deutschen Bühnenvereins im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ auch über das Festivalende hinaus bis in den Herbst 2022.

Kurz vor Ende der diesjährigen Festspiele, die mitten in der Coronahochphase geplant wurden, haben nach aktuellem Stand gut 46.000 Besucher*innen die Vorstellungen der Ruhrfestspiele besucht, bei knapp 59.000 Karten im Verkauf entspricht dies einer Auslastung von etwas unter 80 Prozent. In die statistischen Berechnungen konnten aktuell die Zahlen u. a. der digitalen Veranstaltungen und der Stadtprojekte wie „The People of …“ noch nicht eingerechnet werden. Zudem sind die offiziell bestätigten 50.000 Besucher*innen des Kulturvolksfestes am 1. Mai nicht in der Statistik enthalten. Neben dem Recklinghäuser und regionalen Publikum kam das Publikum aus dem gesamten Bundesgebiet und aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland, so u. a. aus China, Kanada, Mexiko, den USA, Rumänien, Frankreich, Spanien, Portugal, den Niederlanden und aus den Beneluxländern.
Auch aufgrund einer eng getakteten Teststrategie der Ruhrfestspiele bei allen angereisten Künstler*innen und Gruppen und den Mitarbeitenden der Ruhrfestspiele hat es keinen Corona-bedingten Vorstellungsausfall gegeben.

Zitate der Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrfestspiele zum Abschluss der Ruhrfestspiele 2022

„Die Ruhrfestspiele haben die Zeichen unserer Zeit in Kunst gefasst. Getreu dem diesjährigen Motto ,Haltung und Hoffnung' haben die Stücke immer gezeigt, was passiert, wenn Grenzen überschritten werden. Sie haben die relevanten Fragen von Krieg und Frieden, vom Dazugehören und Ausgeschlossensein zugespitzt und sichtbar gemacht. Exemplarisch dafür stehen die Eröffnung durch die Autorin Sharon Dodua Otoo, die Lesung des Romans „Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik“ von Joseph Ponthus und die Inszenierung von Anne Webers „Annette. Ein Heldinnenepos“. Denn Haltung zu zeigen ist gerade in der heutigen Zeit wichtig.“
Stefan Körzell, 1. Aufsichtsrat-Vorsitzender der Ruhrfestspiele und Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes

„Die Freude des Publikums, nach zwei schwierigen Corona-Jahren endlich wieder Kultur live vor Ort erleben zu können, war für mich bei meinen Besuchen der Ruhrfestspiele deutlich spürbar. Olaf Kröck hat mit seinem Programm ,Haltung und Hoffnung‘ ohne Frage den Nerv der Zeit getroffen. Wir haben viele spektakuläre und spannende, aber auch aufwühlende Inszenierungen erlebt, die dem Anspruch des Festivals, mit Mut Ausgangspunkt für einen breiten gesellschaftlichen Dialog zu sein, gerecht geworden sind. Sechs Wochen haben wir mit dem Publikum die Vielfalt der Kunst erlebt und gefeiert. Das weckt bei mir bereits heute die Lust auf die Ruhrfestspiele 2023.“
Christoph Tesche, stellvertretender Aufsichtsrat-Vorsitzender der Ruhrfestspiele und Bürgermeister der Stadt Recklinghausen