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Großes Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Erlebnissen. Bilanz der diesjährigen Festivalsaison, die digital und live stattgefunden hat

18.06.2021

Ruhrfestspiele 2021 enden am Sonntag

Mit Live Vorstellungen von „Medea“ in der Regie von Michael Thalheimer und Constanze Becker in der Titelrolle als Gastspiel des Berliner Ensembles, digitalen Vorstellungen von „Care Affair“ von FRAUEN und FIKTION und einer Lesung von Daniel Kehlmann in der Reihe „…im Gespräch mit Denis Scheck“ gehen die diesjährigen Ruhrfestspiele in dieser Woche zu Ende.

Die Ruhrfestspiele 2021 waren digital, hybrid und live! Unter Berücksichtigung der pandemischen Entwicklung hatten Olaf Kröck und sein Team unter der Maßgabe, die Ruhrfestspiele 2021 in jedem Fall durchführen zu wollen, seit Herbst vergangenen Jahres drei unterschiedliche Festivalszenarien geplant. Die flexible Strategie hat sich im Hinblick auf die Öffnung von Live Veranstaltungen als richtig erwiesen.

Olaf Kröck: „Für die 75. Ruhrfestspiele haben wir uns auf ein Abenteuer eingelassen. Wir haben alles darangesetzt, dass die Festspiele stattfinden. Darum haben wir neben dem digitalen Programm auch von Beginn an alle nötigen Vorbereitungen für ein Festival in Präsenz getroffen. Die Anstrengungen wurden mit inspirierenden digitalen Vorstellungen und vielen bewegenden ersten Begegnungen von Künstler*innen und Zuschauer*innen nach langer Zeit der Distanz belohnt – mit Inhalten und Kunst. Es gibt ein spürbar großes Bedürfnis, gesellschaftliche Fragen der Gegenwart und Zukunft in den verschiedensten Formen der Künste verhandelt zu sehen, um sich beim gemeinsamen Erleben darüber auszutauschen.“

Die Ruhrfestspiele waren auch 2021 ein internationales Festival. Beteiligt waren mehr als 650 Künstler*innen aus rund 20 Ländern, darunter u. a. aus Frankreich, Polen, Belgien, Spanien, Großbritannien, Deutschland, Japan, dem Kongo, der Elfenbeinküste, den Niederlanden, Indien, Australien, Schweden, der Schweiz und der Türkei. Gezeigt wurden rd. 75 Produktionen mit ca. 200 Veranstaltungen, davon u. a. fünf digitale Premieren und eine Live Uraufführung. Sechs Produktionen waren koproduziert. 28 Produktionen wurden in digitale Veranstaltungen umgewandelt, sechs Produktionen als hybride Veranstaltungen gezeigt, 23 angekündigte Produktionen mussten Corona-bedingt entfallen. Besonders schmerzhaft war die Absage der koproduzierten Deutschlandpremiere von Dimitris Papaioannous neuer Produktion „Transverse Orientation“ am 22. Mai, die, hätte sie stattgefunden, eine Weltpremiere gewesen wäre, die stattdessen am 2. Juni auf der Biennale de la danse de Lyon gefeiert wurde. Und doch hatten viele Künstler*innen seit dem 1. Juni ihren ersten Live Auftritt nach dem Lockdown bei den diesjährigen Ruhrfestspielen.

„Utopie und Unruhe“

Unter dem Motto „Utopie und Unruhe“ eröffneten die 75. Ruhrfestspiele digital mit der Deutschlandpremiere „Die Seidentrommel“ von und mit Yoshi Oida, einer Koproduktion des Festival d'Avignon und Théâtre de la Ville, Paris. Die Festrede hielt die Autorin Enis Maci. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet gratulierten den Ruhrfestspielen mit Grußworten zum Jubiläum.

Anlässlich des Jubiläums präsentierten die Ruhrfestspiele eine Ausstellung inkl. Begleitpublikation, die das Publikum des Festivals ins Zentrum stellte: „Sie stellen sich vor. Ansichten der Zuschauer – Kleine Hommage an das Publikum: 75 Jahre Ruhrfestspiele in Fotografien ihrer Besucher“, kuratiert von Andreas Rossmann. Neben der diesjährigen Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, „Clouded in Veins“ von Mariechen Danz, zeigten die Ruhrfestspiele die begehbare Videoinstallation „Ein faszinierender Plan“ von Marius Goldhorn, Enis Maci, Mazlum Nergiz, Astrid Nylander, Tanita Olbrich und Pascal Richmann, die exklusiv für die Ruhrfestspiele in Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen entstanden ist und zu der ebenfalls eine Publikation erschienen ist.

Zu den vielbeachteten Inszenierungen der Ruhrfestspiele 2021 gehörten die koproduzierte Film-Uraufführung „Arbeiterinnen / Pracujące kobiety“ von werkgruppe2, und „Konferenz der Abwesenden“ von Rimini Protokoll, die als Koproduktion einen Tag nach der Dresdner Uraufführung bei den Ruhrfestspielen zu sehen war. Als

digitale Premieren zeigten die Ruhrfestspiele „reconstruct:alan_turing“, ein interaktives Live-Game des Büro für Eskapismus über Zoom und die neue Arbeit des indischen Theatermachers Abhishek Thapar „Cow is a Cow is a Cow“. An der Schnittstelle von Tanz und Neuem Zirkus war „Sacre“ von Circa Contemporary Circus aus Melbourne/Australien zum ersten Mal in Europa zu sehen (digitale Erstaufführung). Bei den Jungen Ruhrfestspielen, die ihren Spielplan um ein vielfältiges Mach mit!-Angebot für alle Altersgruppen erweitert haben, erlebte u. a. die Tanzproduktion „A Human Race“ von TANZKOMPLIZEN seine (digitale) Uraufführung.

Einen Schwerpunkt setzten die Ruhrfestspiele in diesem Jahr mit der vom Hamburger Schauspielhaus eingeladenen Produktion „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ nach dem Roman von David Grossman in der Regie von Dušan David Parízek, der Lesung von Irmgard Keuns „Bilder aus der Emigration“ von Paula Beer, und der in Kooperation mit dem DGB präsentierten Veranstaltung zum 8. Mai mit Anne Webers Lesung „Annette, ein Heldinnenepos“. Zu Gast in der Reihe „…im Gespräch mit Denis Scheck“ war zudem die mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnete Autorin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo.

Wichtige inhaltliche Setzungen waren außerdem „Peer Gynt“ von John Bock und Lars Eidinger, das die Ruhrfestspiele mit der Schaubühne Berlin koproduziert haben, und das Gastspiel der René Pollesch Produktion „Goodyear“ vom Deutschen Theater Berlin.

Im Digitalen Ruhrfestspielhaus standen, neben dem (Live)Streaming vieler Produktionen, zahlreiche Publikumsgespräche mit Künstler*innen in Deutschland, aber auch weltweit, im Zentrum. So fanden Künstler*innengespräche nicht nur mit Lars Eidinger (live & digital), Corinna Harfouch, Wolfram Koch und Ulrich Matthes statt, sondern auch mit Dimitris Papaioannou in Athen, Yaron Lifschitz in Melbourne, Sean Gandini in London und Annette Weber in der Provence.

In den Sparten Schauspiel, Tanz, #jungeszene, Literatur, Neuer Zirkus etc. haben die Ruhrfestspiele in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von Themen aufgegriffen: Engagement und Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, die Faszination für und die Angst vor der Kultur der Anderen, die Kraft der Transformation und Verwandlung durch Kreativität und Fantasie, die Veränderung der Arbeitswelt und des Zusammenlebens, Möglichkeiten der Solidarität, verborgene Mechanismen des Marktes, Freundschaft, Empathie und Freiheit, fluide Identitäten. Und in allen Sparten manifestierte sich künstlerisch immer wieder die Zerbrechlichkeit und ungeheure Kraft und Würde des Menschlichen.

Kurz vor dem Ende der diesjährigen Festspiele haben rund 27.000 Besucher*innen die Vorstellungen der Ruhrfestspiele besucht, davon 14.000 live. Die digitalen Veranstaltungen sahen mindestens 13.000 Zuschauer*innen; da diese vielfach von mehreren Personen vor einem Endgerät angeschaut wurden, liegt die genaue Anzahl wahrscheinlich höher. Besucher*innen haben weltweit aus 31 Ländern u. a. aus Australien, den USA, Indien, Japan, Hongkong, Argentinien, Kolumbien, Schweden, Griechenland, Italien, Großbritannien, Frankreich, Polen, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz die Live Vorstellungen in den Spielstätten der Ruhrfestspiele und die (Live)Streams im Digitalen Ruhrfestspielhaus verfolgt, zudem aus dem gesamten Bundesgebiet, u.a. aus Berlin, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart, München und Leipzig, aber auch aus dem Schwarzwald und vielen anderen bundesweiten Regionen.

Für alle Live Veranstaltungen galt in diesem Jahr ein strenges Sicherheits- und Hygienekonzept im Rahmen der aktuellen Corona-Schutzverordnung. Die Sicherheit des Publikums, der Künstler*innen und des gesamten Teams der Ruhrfestspiele stand zu jedem Zeitpunkt an oberster Stelle, umgesetzt durch einen Corona-Schutzbeauftragten, unter Anwendung einer detaillierten Teststrategie für alle Mitarbeitenden und Künstler*innen. Anreisende Künstler*innen und freie Mitarbeiter*innen mussten bei Ankunft einen negativen PCR-Test vorlegen; während des Festivals wurden rd. 2.300 Antigen-Schnelltests und 216 PCR-Tests durchgeführt.

Zitate der Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrfestspiele zum Abschluss der Ruhrfestspiele 2021

„Die Ruhrfestspiele konnten in ihrem Jubiläumsjahr trotz Corona stattfinden, zunächst digital und ab dem 1. Juni dann als Live-Festival mit Hygienekonzept. Damit haben sie gezeigt, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen der Kultur ihre Bühne geben können. Die Ruhrfestspiele haben währenddessen ihre inhaltliche Ausrichtung auf gesellschaftliche Themen der Gegenwart und Zukunft unter dem Motto ‚Utopie und Unruhe‘ weiter vertieft. Mit Projekten wie zum Beispiel der Koproduktion ‚Arbeiterinnen‘ von werkgruppe2, oder dem Hamburger Gastspiel von David Grossmans ‚Eine Frau flieht vor einer Nachricht‘ waren die Ruhrfestspiele unmittelbar am Puls der Zeit. Als Gesellschafter sind wir daher ausgesprochen zufrieden und danken Olaf Kröck und dem Team der Ruhrfestspiele für ihr Engagement.“
Stefan Körzell, 1. Aufsichtsrat-Vorsitzender der Ruhrfestspiele und Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes

„Mein Dank gilt Intendant Olaf Kröck und seinem Team. Sie haben mit viel Energie, Spontanität und Kreativität dafür gesorgt, dass die 75. Ruhrfestspiele trotz der Einschränkungen und Unwägbarkeiten, die mit der Corona-Pandemie verbunden sind, ein Erfolg waren. Sie haben tatsächlich aus der Situation das Beste gemacht. Wir haben viele spannende, aufregende und berührende Momente erlebt. Egal, ob im digitalen Format oder bei den Produktionen, für die ab dem 1. Juni dann auch Zuschauer zugelassen waren. Die Ruhrfestspiele sind auch im Jubiläumsjahr ihrem Ruf, mit Mut einen Austausch über drängende Fragen der Zukunft anzustoßen, gerecht geworden.“
Christoph Tesche, stellvertretender Aufsichtsrat-Vorsitzender der Ruhrfestspiele und Bürgermeister der Stadt Recklinghausen